
Immer mehr Kommunikation findet heute online statt. Doch mit der zunehmenden Digitalisierung wächst auch die Anzahl der Vorfälle digitaler Gewalt. Beleidigungen, Bedrohungen und Hass sind insbesondere in den sozialen Medien trauriger Alltag. Als digitalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus habe ich mich in einer parlamentarischen Anfrage detailliert mit dem Thema beschäftigt.
Zentralstelle ohne Personal – Ermittlungen oft erschwert
Für Hasskriminalität im Internet gibt es in Berlin eine eigene Zentralstelle bei der Staatsanwaltschaft. Sie verfügt jedoch über keine eigenen Personalstellen. Die Ermittlungsarbeit ist dabei in mehrfacher Hinsicht herausfordernd: Technische Hürden wie anonyme E-Mail-Adressen, verschlüsselte Daten sowie die Nutzung von Proxys und VPNs erschweren die Identifikation von Tatverdächtigen erheblich.
Hinzu kommt die unzureichende Kooperation vieler Internetplattformen und Provider – insbesondere, wenn sie im Ausland sitzen. Die Kooperationsbereitschaft ist sehr unterschiedlich Mit Verweis auf nationale Datenschutzregeln verweigern viele Unternehmen die Herausgabe von Daten an deutsche Strafverfolgungsbehörden. Hier müssen wir auf europäischer Ebene nachsteuern. Das Internet kennt keine Grenzen – und die darf es auch für die Strafverfolgung nicht geben. Es darf kein rechtsfreier Raum entstehen.
Der Digital Services Act (DSA) der EU setze hier wichtige Standards, die nun zügig und konsequent umgesetzt werden müssten: Wo Plattformen nicht mitarbeiten, müssen sie zur Kooperation verpflichtet werden.
IP-Adressen: Streit um Speicherfristen
Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz sieht auch die kurzen Speicherfristen für IP-Adressen als Hindernis für effektive Ermittlungen.
Die Frage der Speicherfristen ist ein Balanceakt zwischen Bürgerrechten und Sicherheit. Ich halte die geltenden Fristen für ausreichend. Statt die Rechte der Bürgerinnen und Bürger durch längere Speicherzeiten auszuhöhlen, müssen die Abläufe optimiert und das Personal gestärkt werden.
Ein positives Signal: Die Staatsanwaltschaft Berlin arbeitet bereits an der weiteren Digitalisierung ihrer Abläufe. Ziel ist eine möglichst weitgehende Automatisierung. Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz soll künftig geprüft werden.
Die Fallzahlen der digitalen Gewalt im Detail
Mit 2908 Fällen von angezeigten Beleidigungen im Internet war das vergangene Jahr in Berlin ein Rekordjahr. Die Jahre zuvor war es deutlich weniger (2023: 1712, 2022: 675, 2021: 1018). Bedrohungen (241), Verleumdungen (81) und üble Nachrede (54) waren auf einem ähnlichen Niveau wie in den vergangenen Jahren.
Fälle des § 201a StGB, der sogenannten „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ gab es zuletzt wenig: 2024 waren es lediglich fünf Fälle, 2023 sechs, die beiden Jahre davor sogar nur zwei. Da unter diesen auch die sogenannten „Rachepornos“ fallen, also die unerlaubte Weitergabe von intimen Aufnahmen, sind die Zahlen sehr gering.
Wir brauchen in diesem Bereich mehr Aufklärung, dass sogenannte ‚Rachepornos‘ Verbrechen sind, die bestraft gehören. Entsprechende Beratungsangebote helfen, Scham abzubauen und leichter die Straftaten anzuzeigen. Eine erfolgreiche Strafverfolgung in diesem Bereich stärkt das Vertrauen der Betroffenen in den Rechtsstaat.
Jahr | Anzahl | § 185 StGB | § 186 StGB | § 187 StGB | § 201a StGB | § 238 StGB | § 241 StGB |
Insgesamt | Belei-digung | Üble Nachrede | Verleum-dung | Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bild-aufnahmen | Nachstellung | Bedrohung | |
2021 | 1176 | 1018 | 40 | 61 | 2 | 8 | 359 |
2022 | 783 | 675 | 25 | 47 | 2 | 3 | 265 |
2023 | 1873 | 1712 | 102 | 133 | 6 | 7 | 243 |
2024 | 3059 | 2908 | 54 | 81 | 5 | 0 | 241 |
2025 (bis 20.08.) | 1178 | 1078 | 18 | 26 | 1 | 5 | 132 |
Summe | 8069 | 7391 | 239 | 348 | 16 | 23 | 1240 |
Gesamtanzahl der Js- und UJs-Verfahren mit einem der Delikte §§ 185, 186, 187, 201a, 238 und 241 StGB und Nebenverfahrensklasse „HASS“ und „SMI“, die im Zeitraum 01.01.2021 bis 20.08.2025 eingegangen sind. |
Wie digitale Gewalt in Berlin bestraft wird
In zehn Fällen des § 201a StGB konnten seit 2021 Tatverdächtige ermittelt werden. Drei von diesen Fällen endeten mit Strafbefehlen ohne Freiheitsstrafe. Nur zwei landeten vor Gericht (einer gegen einen Geldbetrag, der andere wurde unter Auflagen eingestellt). Insgesamt sind es zu wenig Fälle, um einzuschätzen, ob diese niedrige Quote an Strafen auch ein Grund für die geringe Anzeigemenge sein könnte.
Von den insgesamt 4089 Fällen mit einem bekannten Tatverdächtigen eines digitalen Hassverbrechens endeten seit 2021 (bis 01.08.25) in über der Hälfte der Fälle mit der Abgabe an eine andere Staatsanwaltschaft. Dies geschieht üblicherweise, weil der Tatverdächtige nicht in Berlin wohnt (2301). 410 Fälle wurde ohne Anklageerhebung oder Strafbefehl eingestellt, weil nicht genug Beweise für eine Verurteilung gefunden werden konnten.
Zu oft hat digitale Gewalt keine Konsequenzen
325 wurden mit einem anderen Verfahren verbunden und unter diesem behandelt. 320 endeten mit einem Strafbefehl ohne Freiheitsstrafe – also üblicherweise mit einer Geldstrafe. Bei den nicht abgegebenen Fällen wurde fast jeder zweite Fall ohne Konsequenzen für die Tatverdächtigen eingestellt.
In etwa einem Viertel der angezeigten Fälle mit unbekanntem Täter konnte letztendlich ein Tatverdächtiger ermittelt werden – in rund der Hälfte wurden die Verfahren jedoch eingestellt.
Von den Fällen, die vor Gericht landeten (seit 2021: 325), endeten die meisten mit einer Geldstrafe (209), gefolgt von einer Einstellung gegen Zahlung eines Geldbetrags (36).
Durch die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften fehlt uns ein klarer Überblick darüber, wie oft digitale Hassverbrechen bestraft werden. Neben einer Gesamtübersicht müssen wir in Deutschland und besser noch in ganz Europa bei der Strafverfolgung enger zusammenarbeiten, damit das Recht auch bei Online-Straftaten durchgesetzt werden wird.
Gerichtliche Entscheidungen
Entscheidungsart | § 185 StGB | § 186 StGB | § 187 StGB | § 201a StGB | § 238 StGB | § 241 StGB | Summe |
Einstellung § 260 III StPO – Verf.hind. – AG – | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 |
Gesamtgeldstrafe | 1 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 |
Verbindung mit anderer Sache – LG/OLG | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 1 |
Einst. § 153a II StPO (sonstige Auflagen/Weisungen) | 1 | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 | 2 |
Einst. § 206a StPO (Verfahrenshindernis) | 1 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 2 |
Erledigung – Erziehungsmaßr. (§ 9 JGG) | 2 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 2 |
Einst. § 153 II StPO; m. Ausl.erst. | 2 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 3 |
Einst. § 154 II StPO (unwesentliche Nebenstraftat) | 3 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 4 |
Einst. § 47 JGG (Maßn. n. § 45 III JGG) | 2 | 0 | 0 | 0 | 0 | 3 | 5 |
Einst. § 47 JGG (erzieher. Maßn. n. § 45 II JGG) | 3 | 0 | 0 | 0 | 0 | 3 | 6 |
Freiheitsstrafe mit Bewährung | 2 | 1 | 1 | 0 | 0 | 2 | 6 |
Ablehnung – Eröffn. d. Hauptverf. | 7 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 7 |
Freispruch | 6 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 7 |
Verbindung mit anderer Sache – AG | 7 | 1 | 0 | 0 | 0 | 4 | 12 |
Einst. § 153 II StPO; o. Ausl.erst | 14 | 1 | 1 | 0 | 0 | 0 | 16 |
Einst. § 153a II Nr 2 StPO (Geldbetrag) | 36 | 0 | 0 | 1 | 0 | 4 | 41 |
Geldstrafe | 162 | 7 | 7 | 0 | 1 | 32 | 209 |
Summe | 249 | 10 | 10 | 2 | 1 | 53 | 325 |
Anzahl der bisher eingetragenen gerichtlichen Entscheidungen zu den Beschuldigten aus den Js-Verfahren mit einem der Delikte §§ 185, 186, 187, 201a, 238 und 241 StGB und Nebenverfahrensklasse „HASS“ und „SMI“, die im Zeitraum 01.01.2021 bis 20.08.2025 eingegangen sind. |