Uns allen kann es passieren, dass wir beispielsweise durch einen Unfall, eine plötzliche Erkrankung oder im Alter unsere rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr allein regeln können. In diesen Fällen sorgt das Betreuungsrecht dafür, dass wir durch eine rechtliche Betreuung die für uns individuell notwendige Unterstützung erhalten. Gerichtlich bestellte Betreuer:innen unterstützen erwachsene Personen in festgelegten Aufgabenkreisen (etwa der Gesundheits- und Vermögenssorge oder der Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern) und besorgen diese Angelegenheiten so, dass Betreute im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr Leben noch nach ihren Wünschen gestalten können.
Gesetz regelt Betreuung neu
Zum 1. Januar 2023 ist das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in Kraft getreten. Dieses soll vor allem die Selbstbestimmung von betreuten Menschen und die Qualität der rechtlichen Betreuung stärken. Insbesondere für Berufs- und Vereinsbetreuer:innen kamen mit der Reform einige neue Aufgaben hinzu – wie beispielsweise eine erweiterte Dokumentationspflicht sowie eine Umsetzung der unterstützten Entscheidungsfindung. Eine zeitgleiche Anhebung der Vergütung der rechtlichen Betreuer:innen fand jedoch bislang nicht statt. Lediglich eine Inflationssonderzahlung für berufliche Betreuer:innen, Betreuungsvereine und ehrenamtliche Betreuer:innen ist mit Wirkung zum 1. Januar 2024 beschlossen worden. Bundesweit klagen viele Berufs- und Vereinsbetreuer:innen über unzureichende Vergütung, eine gestiegene Arbeitsbelastung und Nachwuchsmangel. Dies habe ich zum Anlass genommen, mich im Rahmen einer Anfrage über die aktuelle Betreuungssituation in Berlin zu informieren.
Immer mehr Betreuungen notwendig
Über die Jahre 2019 bis einschließlich 2022 betrachtet zeigt sich in Berlin sowohl eine Erhöhung der ehrenamtlich geführten Betreuungen (von 2019: 16.379 bis 2022: 18.320) als auch der beruflich geführten Betreuungen (von 2019: 37.826 zu 2022: 44.789). Der Senat geht davon aus, dass der demografische Wandel in den nächsten Jahren zu einer weiteren Zunahme an Betreuungsverfahren führen wird. Auch der Fachkräftemangel wird eine Herausforderung darstellen. Bereits jetzt werden in Berlin 525 Betreuungen von Behörden geführten – Behördenbetreuungen sind eine Art Ausfallbürge, wenn keine ehrenamtliche oder berufliche Betreuungsmöglichkeit gefunden werden kann. Perspektivisch wird die Bestellung von Betreuungsbehörden durch den Mangel an beruflichen Betreuer:innen nach Auskunft des Senats weiter zunehmen.
Es ist daher dringend geboten, die ehrenamtliche Betreuung auszubauen und das Ehrenamt zu stärken, um das Betreuungssystem zu entlasten. Die ehrenamtliche Arbeit braucht eine angemessene Wertschätzung und Anerkennung, aber auch eine Bestärkung für die Ehrenamtler:innen. Nicht immer ist es leicht, wichtige Entscheidungen für Dritte (insbesondere Familienangehörige) zu treffen. Hierfür benötigen sie ganz praktische Schulungen und eine kompetente Anlaufstelle in den Betreuungsvereinen und örtlichen Betreuungsbehörden. Ehrenamtliche Betreuer:innen erhalten keine Vergütung, sondern eine pauschale jährliche Aufwandspauschale in Höhe von 425,00 €. Die Aufwandspauschale schließt die ehrenamtlichen Betreuer:innen aber wiederum davon aus, dass sie beispielsweise die Ehrenamtskarte Berlin-Brandenburg beantragen können. Die Ehrenamtskarte bietet Vergünstigungen bei zahlreichen Freizeit- und Kultureinrichtungen und weiteren städtischen Einrichtungen und Unternehmen. Es mag geprüft werden, ob ehrenamtliche Betreuer:innen trotz der (geringen) Aufwandspauschale auch von der Ehrenamtskarte Gebrauch machen können.
Um ehrenamtliche Betreuer:innen Beratung und Begleitung zu bieten, müssen auch die neun anerkannten Betreuungsvereine in Berlin ausreichend finanziert werden. Für die Förderung der Berliner Betreuungsvereine (und deren verschiedenen Standorten) stehen 2024 2,7 Mio. € und 2025 2,8 Mio. € im Haushalt.
Professionelle Betreuung muss angemessen entlohnt werden
Aber auch die Vergütung der Berufsbetreuer:innen muss in Anbetracht der durch die Reform hinzugekommenen Aufgaben leistungsgerecht werden. Im Rahmen der kürzlich stattgefundenen Jahrestagung des Bundesverbands der Berufsbetreuer*innen e. V. kündigte Angelika Schlunck, Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz, an, dass an einem entsprechenden Gesetzentwurf bereits gearbeitet wird. Und dieser mit den Ländern so abgestimmt werden soll, „dass noch in dieser Legislaturperiode Bundestag und Bundesrat darüber entscheiden können“.
Berufsbetreuer:innen leisten für unsere Gesellschaft wertvolle Arbeit – dies muss entsprechend honoriert werden, auch um durch eine höhere Entlohnung gegebenenfalls Nachwuchs zu gewinnen. Viele Berufsbetreuer:innen klagen auch über lange Bearbeitungszeiten für die Auszahlung ihrer geltend gemachten Vergütungen. Hierfür braucht es in den Berliner Amtsgerichte entsprechend genug Personal für die rasche Bearbeitung der Vergütungsanträge. Es sollte auch geprüft werden, inwieweit sich Vergütungsantragsprozesse (z. B. über Abrechnungsbelege) digitalisieren und vereinfachen lassen.
Hinsichtlich der Inflationsausgleichs-Sonderzahlungen teilt der hiesige Senat mit, dass die Sonderzahlung seit Beginn dieses Jahres festgesetzt und ausgezahlt wird. Dies führt zu einer Erschwerung der Dauervergütungsfestsetzung. Eine Evaluierung der haushälterischen Auswirkungen sowie der Effekte auf die Praxis ist jedoch nach dem Inkrafttreten vom 1. Januar 2024 noch nicht möglich.