Sitz des Bundesverfassungsgerichts

Die herausragende Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Garant unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung soll nun durch einen noch besseren Schutz hervorgehoben werden. Auch der Deutsche Anwaltverein fordert die bessere Absicherung des Bundesverfassungsgerichts bereits seit sieben Jahren.

Die Gesetzentwürfe werden am heutigen Donnerstag, dem 10. Oktober 2024, im Bundestag in erster Lesung beraten.

Das Bundesverfassungsgericht ist eine der tragenden Säule unseres Rechtsstaates. Sein Schutz ist mir und allen Demokrat:innen daher ein ganz zentrales Anliegen. Die geplanten Verfassungsänderungen leisten einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit sowie der Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts – doch auch die einzelnen Bundesländer sind nun gefragt, ihre jeweiligen Landesverfassungsgerichte für unsichere Zeiten zu wappnen.

Sperrminorität der Thüringer AfD: ein Warnschuss für alle Bundesländer

Dass antidemokratische Parteien mit der Sperrminorität ihre Macht nutzen können, ist nun mit der AfD in Thüringen bittere Realität geworden – dort könnte die AfD beispielsweise die Wahl von Richter:innen blockieren, da sie mehr als ein Drittel der Abgeordneten stellt. Auf diese Weise käme eine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit der andern nicht mehr zustande. Für die übrigen Bundesländer und ihre demokratischen Parteien sollte dies ein Warnschuss sein. Das äußerten auch bereits Sven Rehbehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, sowie Sylvia Ruge, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Anwaltvereins.

Auch das Land Berlin muss jetzt vorausschauend handeln und Maßnahmen ergreifen, um den Rechtsstaat vor antidemokratischen und illiberalen Kräften zu schützen. Alle demokratischen Berliner Parteien sind dringend aufgerufen, den Verfassungsfeinden in Berlin zuvorzukommen – und zwar über die Parteigrenzen hinweg. Dass dies gelingen kann, zeigt die auf Bundesebene herbeigeführte Einigung.

Besserer Schutz auch für den Berliner Verfassungsgerichtshof dringend erforderlich

Eine Möglichkeit, den Berliner Verfassungsgerichtshof besser zu schützen, wäre die Einführung eines Ersatzwahlmechanismus wie beim Bundesverfassungsgericht. Bei diesem Verfahren wird das bestehende Gremium des Verfassungsgerichtshofs selbst in die Auswahl der neuen Richter:innen mit eingebunden. Hierfür müssten jedoch Artikel 84 der Verfassung von Berlin sowie das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof Berlin (VerfGHG) entsprechend überarbeitet werden.

Die nun konkret ausgestalteten Pläne zum Schutz und der Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts sind insoweit (nur) ein erster wichtiger Schritt zum Schutz unseres Rechtsstaates. Der Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens auf Bundesebene soll noch in diesem Jahr erfolgen.

Inhaltlich-systematische Neuordnung der Artikel 93 und 94 GG

Für die Absicherung des Bundesverfassungsgerichts sollen die Artikel 93 und 94 des Grundgesetzes inhaltlich systematisch neu geordnet werden. Dadurch werden grundlegende Strukturen des Bundesverfassungsgerichts in das Grundgesetz aufgenommen. Konkret handelt es sich um den Status des Gerichts, die Amtszeit der Richter:innen (12 Jahre), die Altersgrenze der Richter:innen (68 Jahre), die Zahl der Richter:innen (16), die Anzahl der Senate (2), den Ausschluss der Wiederwahl nach zwölf Amtsjahren, die Fortführung der Amtsgeschäfte bis zur Wahl der/des Nachfolger:in, die Bindungswirkung der Entscheidungen des Gerichts sowie die Geschäftsordnungsautonomie. Dies mag auf den ersten Blick technisch anklingen, doch die Aufnahme dieser Regelungen in das Grundgesetz hat u. a. zur Folge, dass diese nur noch mit einer 2/3-Mehrheit abgeändert werden können und somit die Funktion des Bundesverfassungsgerichts stärker gesichert wird.

Darüber hinaus wird eine Öffnungsklausel eingeführt: Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts sind grundsätzlich zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat zu wählen. Für den Fall jedoch, dass eine freie Richter:innenstelle mangels Wahlmehrheit im zuständigen Wahlgremium (Bundestag bzw. Bundesrat) nicht rechtzeitig neu besetzt wird, kann das Wahlrecht für den Fall der Blockade eines Wahlorgans auch vom jeweils anderen Organ ausgeübt werden. Hierdurch wird die langfristige Arbeits- und Handlungsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts gesichert.

Einführung eines Blockadelösungsmechanismus

Im Rahmen dieser Öffnungsklausel wird im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) zusätzlich ein Ersatzwahl- bzw. Blockadelösungsmechanismus eingeführt: Können sich Bundestag oder Bundesrat nicht auf ein:e Kandidat:in einigen, weil die Wahl zum Beispiel durch eine Sperrminorität blockiert wird, kann das Bundesverfassungsgericht selbst drei Kandidat:innen vorschlagen. Diese Möglichkeit besteht bereits jetzt im BVerfGG; Bundestag und Bundesrat sind an diese Vorschläge auch mit der geplanten Änderung nicht gebunden. Wenn das zuständige Wahlorgan nach drei Monaten jedoch kein:e Nachfolger:in gewählt hat, kann das jeweils andere Wahlorgan eine:n Richterin wählen.

Gesetz des Bundesverfassungsgerichts wird zustimmungsbedürftig

Zusätzlich zu diesen Änderungen des Grundgesetzes hat der Bundesrat am 27. September 2024 eine Entschließung zur Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts gefasst. Zuvor unterstützte auch Berlin die entsprechende länderübergreifende Bundesratsinitiative. Zentrale Forderung ist, dass künftige Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes der Zustimmung des Bundesrats bedürfen, um das Bundesverfassungsgericht noch weiter und nachhaltiger zu stärken. Die Entschließung des Bundesrats wird nun der Bundesregierung zugeleitet.