
Bereits der Eilantrag wurde kurz vor der Wahlwiederholung abgelehnt; nun wurde in der Hauptsache entschieden
2022 hatte der Berliner Verfassungsgerichtshof entschieden, dass die Wahl zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen 2021 vollständig zu wiederholen seien. Diese sehr weitgehende Entscheidung wurde zahlreich kritisiert, da sie von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich abwich. Die Heranziehung völlig neuer Maßstäbe, die u. a. zu einer uneinheitlichen Wahlprüfung in den Bundesländern führten, griff eine breite Gruppe von Politiker:innen, darunter Dr. Matthias Kollatz und ich von der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus sowie Eike Arnold aus der Bezirksverordnetenversammlung in einer Verfassungsbeschwerde an.
Den Eilantrag, die Wahlwiederholung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, hatte das Bundesverfassungsgericht kurz vor der Wahl 2023 ablehnt. Die später folgende Begründung war, dass der Antrag in der Hauptsache unzulässig sei, da die Wahlprüfung der Berlin-Wahl einzig beim Berliner Landesverfassungsgericht liege. Nur für einen Notfall sei es dem Bundesverfassungsgericht möglich, einzuschreiten.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun auch seine Entscheidung in der Hauptsache verkündet, dabei jedoch auf die umfangreiche Ablehnung des Eilantrages verwiesen.
Es ist wichtig, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Sache jetzt entschieden hat, auch wenn ich die Folgen für problematisch halte. Die ursprünglich 2021 gleichzeitig stattfindende Bundestagswahl wurde nur in Teilen wiederholt, während die Berlin-Wahlen komplett wiederholt werden mussten. Zwei unterschiedliche Maßstäbe für den gleichen Wahltag mit den gleichen Fehlern – das schadet dem Vertrauen in unsere demokratischen Wahlen.
Neben wirksamen Maßnahmen, die eine Resilienz des Landesverfassungsgerichtshofs sicherstellen, müssen wir auch über eine Mehrstufigkeit bzw. Revisionsmöglichkeit nachdenken. An der Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs war maßgeblich als Mitglied des Spruchkörpers und Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs Dr. Robert Seegmüller beteiligt, der seit Langem auch Vorsitzender des CDU-Landesarbeitskreises der Juristen ist und nun sogar im Gespräch für das Bundesverfassungsgericht ist. Auch hatte sich der mit der Sache befasste Richter am Bundesverfassungsgericht, Peter Müller, CDU, schon weit vor der Entscheidung seines Gerichts im Sommer abfällig zu Berlin geäußert. Einen Befangenheitsantrag hat das Bundesverfassungsgericht nun abschlägig beschieden, weil Herr Müller nicht mehr Mitglied des Bundesverfassungsgerichts ist. Das ist besonders schade, denn an der Eilsache war ja gerade er maßgeblich beteiligt.
Neu und richtig ist es, dass das Bundesverfassungsgericht anerkennt, in Ausnahmefällen auch Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte prüfen zu dürfen. Nicht schlüssig ist jedoch die Einschränkung auf eine andauernde beziehungsweise systematische Abweichung von der bundesverfassungsrechtlichen Norm. Gerade in dem demokratie-konstituierenden Bereich der Wahlen muss jede Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts im Einklang mit der Bundesverfassungsgerichts-Rechtsprechung stehen.
Sollte es in Zukunft in einigen Bundesländern demokratiefeindliche Landesverfassungsrichter geben, muss das Bundesverfassungsgericht frühzeitig eingreifen, zur Not aber auch schon beim ersten Mal bei offensichtlichen Fehlurteilen. Sonst könnte es schnell zu spät sein – das hat die Geschichte gezeigt.