Symbolbild (Gesetzesbuch) für Schöffinnen und Schöffen

Anfang 2024 begann im Land Berlin und auch bundesweit die neue fünfjährige Amtsperiode für Schöffinnen und Schöffen. Die gewählten 2.120 Haupt- und Jugendhauptschöff:innen sowie die 3.100 Ersatz- und Jugendersatzschöff:innen im Land Berlin leisten nun seit mehr als einem Jahr einen wichtigen Dienst für unseren demokratischen Rechtsstaat. Sie tragen maßgeblich zur Entscheidung über die Urteilsfindung und in Strafprozessen über die Zukunft von Angeklagten bei. Dabei üben sie während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichterinnen und -richter aus.

Schöffinnen und Schöffen haben neben denselben Rechten auch dieselben Pflichten wie Berufsrichterinnen und -richter. Wer in Deutschland an der Rechtsprechung beteiligt ist, muss treu zu unserer Verfassung stehen und sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Wie unter anderem die Verfassungstreue der Berliner Schöffinnen und Schöffen überprüft wird, hatte ich bereits im Rahmen einer schriftlichen Anfrage aus September 2024 erfragt – und nun im Februar 2025 noch einmal nachgehakt.

Rechte und extremistische Gruppen rufen ihre Anhänger:innen zu Bewerbungen als Schöffinnen und Schöffen auf

Genau wie Berufsrichterinnen und -richter leisten auch ehrenamtliche Richterinnen und Richter gemäß § 45 Abs. 3 des Deutschen Richtergesetzes einen Eid darauf, ihre richterlichen Pflichten getreu dem Grundgesetz zu erfüllen. Dennoch liest man häufiger von verfassungsfeindlichen Tendenzen unter ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern. Grund ist, dass während der vergangenen Schöffenwahl 2023 rechte und extremistische Gruppen ihre Anhängerinnen und Anhänger dazu aufgerufen, sich für das Schöffenehrenamt zu bewerben – vermutlich um das Justizsystem zu unterwandern.

Um genau das zu verhindern, stellte das Bundesverfassungsgericht bereits 2008 klar, dass seitens der Landesjustizverwaltungen streng darauf zu achten sei, „dass zum ehrenamtlichen Richter nur Personen ernannt werden dürfen, die nach ihrem Persönlichkeitsbild und ihrer fachlichen Befähigung – einschließlich ihrer Einstellung zu den Grundentscheidungen unserer Verfassung – die Gewähr dafür bieten, dass sie die ihnen von Verfassungs und Gesetzes wegen obliegenden, durch den Eid bekräftigten richterlichen Pflichten jederzeit uneingeschränkt erfüllen werden“ (BVerfG, Beschluss vom 06.05.2008 – 2 BvR 337/08, Rn. 28, openjur).

Auch ehrenamtliche Richter:innen unterliegen einer Pflicht zur Verfassungstreue

Bereits in der Antwort auf meine schriftliche Anfrage aus dem September 2024 teilte der Senat mit, dass das Land Berlin bzw. die Berliner Bezirkswahlämter „weder über Mittel noch Methoden [verfüge,] um die Gewährleistung der Verfassungstreue aller Bewerbenden zu prüfen“. Weder für die Überprüfung der Bewerbenden im Hinblick auf ihr Persönlichkeitsbild noch der formalen Voraussetzungen (z. B. Alter, Wohnsitz) sind bei den Bezirkswahlämtern Stellenanteile vorgesehen. Ob und inwieweit die Bezirksverordnetenversammlungen oder der Schöffenwahlausschuss darüber hinaus an der Überprüfung der Verfassungstreue beteiligt sind, teilte der Senat nicht mit.

Überprüfung der Schöffinnen und Schöffen reichen nicht aus

Ich musste feststellen, dass wir den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Überprüfung der Verfassungstreue der Bewerbenden mit den bestehenden Strukturen kaum gerecht werden können. Daher habe ich in meiner aktuellen Anfrage noch einmal genau nachgefragt, wie der Senat den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bewertet und ob das Land Berlin den darin genannten Anforderungen aus Sicht des Senats aktuell gerecht wird. Daraufhin gab der Senat an, er werde bei der Schöffenauswahl „den Anforderungen gerecht, die ihm der Bundesgesetzgeber, insbesondere durch das Gerichtsverfassungsgesetz, auferlegt.“ Damit gemeint ist beispielsweise die Einholung von Bundeszentral- und Melderegisterauszügen, um zu prüfen, ob Bewerbenden durch Richterspruch die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkannt wurde oder ob sie wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt wurden.

Bereitschaftserklärung enthält keine Selbsterklärung oder Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung

Auch müssen Bewerbende im Rahmen des Bewerbungsverfahrens eine Bereitschaftserklärung unterzeichnen, in der sie erklären, dass keine Ausschlussgründe (nach dem Gerichtsverfassungsgesetz) für das Schöffenamt vorliegen und die formalen Voraussetzungen vorliegen. Neben den persönlichen Daten müssen Bewerbende dabei ankreuzen, dass ihnen „Gründe, die [ihrer] Berufung zum Schöffenamt entgegenstehen, nicht bekannt sind“ – dahinter findet sich ein Hinweis auf die Rückseite. Die Rückseite enthält sodann einen Auszug aus den §§ 31 bis 35 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Die Vorschriften enthalten Ausschlussgründe wie Vorstrafen, Altersgrenzen und Berufungs- und Ablehnungsgründe – nicht jedoch den expliziten Hinweis auf die erforderliche Verfassungstreue.

Auf Bundesebene war eine Änderung des Deutschen Richtergesetzes geplant

Die Verfassungstreue zu einer zwingenden gesetzlichen Voraussetzung für die Berufung in das Schöffenamt zu machen, war in der letzten Legislaturperiode Bestandteil eines Gesetzentwurfes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes. Die Änderung sah konkret vor, die Vorschrift „Zu dem Amt eines ehrenamtlichen Richters darf nicht berufen werden, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.“ einzufügen. Die geplante Gesetzesänderung wurde jedoch in der Legislaturperiode der Ampel nicht mehr beschlossen.

Abschreckende Wirkung: Andere Bereitschaftserklärungen enthalten Bekenntnisse zur freiheitlich demokratischen Grundordnung

Eigene Recherchen anderer Erklärungen und Formulare von Deutschlands Städten und Gemeinden ergaben jedoch, dass teilweise Aussagen wie „Ich bekenne mich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“ (Stadt Köln, weitergehend auch in Jena oder Chemnitz) aktiv zugestimmt werden muss.

Selbstverständlich können solche unterschriebenen Erklärungen nicht gänzlich verhindern, dass sich auch Verfassungsfeinde als Schöff:innen bewerben – doch mitunter überlegt der ein oder andere Bewerbende noch einmal, welche Selbsterklärung er unterzeichnet und versendet – es gibt also durchaus eine mögliche Abschreckungswirkung. Zudem würde die höchstrichterliche Rechtsprechung zur notwendigen Verfassungstreue der Schöff:innen auch im Bewerbungsprozess ihren Niederschlag finden. Dass sich solche expliziten Selbsterklärungen zur Verfassungstreue in den Berliner Bereitschaftserklärungen nicht finden, ist bedauerlich.

Noch keine Fälle von extremistischen Schöffinnen und Schöffen in Berlin

Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass dem Senat nach eigener Angabe „weder aus der aktuellen noch aus der letzten Schöffenperiode Rückmeldungen aus dem Geschäftsbereich bekannt sind, in denen eine erkennbar fehlende Verfassungstreue von gewählten Schöffinnen und Schöffen problematisiert wird.“ Zwar ist das erfreulich – doch es stellt sich die Frage, ob die Vergangenheit in diesem Zusammenhang auch ein verlässlicher Indikator für die Zukunft ist. Der Senat sollte sich nicht (nur) auf vergangene Erfahrungen verlassen und im Zweifel durch Amtsenthebungsverfahren reaktiv handeln, sondern auf wirksame Prävention einer möglichen rechten Unterwanderung des Berliner Schöffenwesens setzen.

Auch eine öffentliche Kontrolle der Vorschlagsliste im Hinblick auf mögliche Zweifel an der Verfassungstreue einzelner Schöffenbewerber:innen ist nicht möglich – denn ein Einspruch gegen die Vorschlagsliste kann sich nur auf „absolute“ Ausschlussgründe nach §§ 32 bis 34 des Gerichtsverfassungsgesetzes stützen, nicht aber auf einen Zweifel an der Verfassungstreue.

Bremen und Niedersachsen wirken einer möglichen Unterwanderung präventiv entgegen

Mehr Präventionsarbeit leistet in diesem Zusammenhang beispielsweise das Land Bremen – hier werden die Bewerbenden bereits bei der Aufstellung der Vorschlagsliste mittels „Recherchen in öffentlich zugänglichen Quellen“ gemäß § 11 des Bremischen Richtergesetzes überprüft. In Niedersachsen fragte man bei der letzten Schöffenwahl im Rahmen des Bewerbungsformulars ab, ob die Bewerbenden mit einer möglichen Überprüfung durch den Verfassungsschutz einverstanden wären – um Verfassungsfeinde abzuschrecken. Der Senat plant momentan keine Änderung nach Bremer oder niedersächsischem Vorbild. Jedoch verfolgt der Senat die Entwicklungen in anderen Bundesländern genau – immer „mit Blick auf deren Umsetzbarkeit angesichts der großen Zahl von Personen auf den Berliner Vorschlagslisten.“

Baden-Württemberg ändert Landesgesetz – rechtstechnisch auch in Berlin denkbar

In Baden-Württemberg wurde in das Landesrichter- und staatsanwaltsgesetz ein neuer § 13a mit folgendem Inhalt eingefügt: „In das ehrenamtliche Richterverhältnis darf nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.“  Zwar ist eine solche Ergänzung des Berliner Richtergesetzes nach Angaben des Senats auf Nachfrage rechtstechnisch denkbar – doch die daraus resultierende Frage nach dem personellen und haushalterischen Aufwand für die regelhafte Überprüfung dieser Vorgabe lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten.

Auch wenn der Senat aktuell keine Anhaltspunkte für eine Bedrohung des Schöffenamtes durch Extremisten sieht, sehe ich es als dringend erforderlich, anderen Ländern im Hinblick auf die Prävention zu folgen. Schöffinnen und Schöffen leisten einen wichtigen Beitrag zur Rechtsprechung. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass die bisher positiven Erfahrungen in Berlin auch in Zukunft Bestand haben. Das aktuelle Prüfsystem bzw. Verfahren enthält keine Mechanismen, um extremistische Tendenzen von Bewerbenden frühzeitig zu erkennen und sie auszuschließen. Im Rahmen einer weitsichtigen Rechtsstaatlichkeit gilt es, potenziellen Gefahren proaktiv zu begegnen und ihnen entgegenzuwirken, anstatt erst zu reagieren, wenn der Schaden bereits eingetreten ist.