Anfang 2024 begann im Land Berlin und auch bundesweit die neue fünfjährige Amtsperiode für Schöffinnen und Schöffen. Auf die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter wartet ein wichtiger Dienst für unseren demokratischen Rechtsstaat, denn sie tragen maßgeblich zur Entscheidung über die Urteilsfindung und in Strafprozessen über die Zukunft von Angeklagten bei. Dabei üben sie während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichterinnen und -richter aus.
Schöffinnen und Schöffen haben neben denselben Rechten aber auch dieselben Pflichten wie Berufsrichterinnen und-richter. Wer in Deutschland an der Rechtsprechung beteiligt ist, muss treu zu unserer Verfassung stehen und sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Auch Schöffinnen und Schöffen sind zur Neutralität und zur Unparteilichkeit verpflichtet. Wie und wer die Verfassungstreue der Berliner Schöffinnen und Schöffen überprüft, habe ich im Rahmen einer schriftlichen Anfrage erfragt.
Rechte und extremistische Gruppen rufen ihre Anhänger:innen zu Bewerbungen auf
Genau wie Berufsrichterinnen und -richter leisten auch ehrenamtliche Richterinnen und Richter einen Eid, ihre richterlichen Pflichten getreu dem Grundgesetz zu erfüllen. Dennoch liest man häufiger von verfassungsfeindlichen Tendenzen unter ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern. Ursache könnte sein, dass während der vergangenen Schöffenwahl 2023 rechte und extremistische Gruppen ihre Anhängerinnen und Anhänger dazu aufgerufen hatten, sich für das Schöffenehrenamt zu bewerben – vermutlich um das Justizsystem zu unterwandern.
Um genau das zu verhindern, stellte das Bundesverfassungsgericht bereits 2008 klar, dass seitens der Landesjustizverwaltungen streng darauf zu achten ist, „dass zum ehrenamtlichen Richter nur Personen ernannt werden dürfen, die nach ihrem Persönlichkeitsbild und ihrer fachlichen Befähigung – einschließlich ihrer Einstellung zu den Grundentscheidungen unserer Verfassung – die Gewähr dafür bieten, dass sie die ihnen von Verfassung und Gesetzes wegen obliegenden, durch den Eid bekräftigten richterlichen Pflichten jederzeit uneingeschränkt erfüllen werden“ (BVerfG, Beschluss vom 06. Mai 2008, 2 BvR 337/09, Rn. 29, openjur). Dabei erstrecke sich die Pflicht zur Verfassungstreue auch auf Aktivitäten außerhalb des Schöffenehrenamtes.
Auch ehrenamtliche Richter:innen unterliegen einer Pflicht zur Verfassungstreue
Damit die Pflicht der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter zur Verfassungstreue darüber hinaus hervorgehoben wird, wird im Bundestag seit etwa einem Jahr ein Gesetzentwurf zur Änderung des Richtergesetzes besprochen, um Verfassungsfeinde aus dem Schöffenamt auszuschließen oder abzuberufen. Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass ein Gericht im konkreten Einzelverfahren fehlerhaft besetzt wäre, wenn an der Urteilsfindung eine Schöffin oder ein Schöffe trotz Vorliegen eines Ausschlussgrundes (z. B. fehlende Verfassungstreue) mitwirkt – dies wiederum stellt regelmäßig einen absoluten Revisionsgrund dar. Die erste Beratung im Bundestag über den Gesetzentwurf fand am 19.10.2023 statt.
Doch um zwischen mehreren Tausenden Schöff:innen jene zu ermitteln, die sich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen, bedarf es einer strengen Überprüfung vor der Ernennung. Ferner braucht es auch eine regelmäßige Überprüfung während der Amtsperiode – das aber legt der Gesetzentwurf nicht fest. Das Land Berlin bzw. die Berliner Bezirkswahlämter verfügen nach Angaben des Senats „weder über Mittel noch Methoden […] um die Gewährleistung der Verfassungstreue aller Bewerbenden zu prüfen“. Weder für die Überprüfung der Bewerbenden im Hinblick auf ihr Persönlichkeitsbild noch für die Überprüfung der formalen Voraussetzungen (z. B. Alter, Wohnsitz) sind bei den Bezirkswahlämtern Stellenanteile vorgesehen. Ob und inwieweit die BVV oder der Schöffenwahlausschuss darüber hinaus an der Überprüfung der Verfassungstreue beteiligt sind, teilt der Senat nicht in seiner Antwort mit.
Kaum behördliche Überprüfungen und öffentliche Kontrollen möglich
Auch die Berliner Bürgerinnen und Bürger stehen in der Pflicht, die Bewerbenden zu überprüfen. Denn die Vorschlagslisten liegen eine Woche lang in den Bezirksämtern aus, um Bürgerinnen und Bürgern Einsichtnahme und Einspruchsmöglichkeiten zu bieten. Eine digitale „Auslegung“ erfolgt nach Angaben des Senats aus Datenschutzgründen nicht. Doch durch die rein analoge Auslegung der Liste für nur eine Woche ist eine öffentliche Kontrolle kaum möglich. Das zeigt sich auch daran, dass die Auslegung der Vorschlagsliste 2023 in ganz Berlin zu nur einem einzigen Einspruch führte.
Mit den bestehenden Strukturen in Berlin werden wir den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Überprüfung der Verfassungstreue der Bewerbenden kaum gerecht. Im Hinblick auf das Bewerbungsverfahren und die persönliche Überprüfung von Schöffinnen und Schöffen im Land Berlin sehe ich grundlegenden Reformbedarf. Dass darüber hinaus über die Demografie der Berliner Schöffinnen und Schöffen keine Datenerhebung erfolgt, ist bedauerlich. Die Schöffinnen und Schöffen sollen letztlich die Berliner Bevölkerung vertreten und repräsentieren. Ohne Daten, lässt sich das nicht überprüfen.
Auch andere Bundesländer kämpfen gegen rechte Unterwanderung im Schöffenamt
Doch nicht nur Berlin hat mitunter Schwierigkeiten, extremistische oder ungeeignete Bewerber im Voraus herauszufiltern. In Baden-Württemberg wurde ein Schöffe gewählt, der wegen Volksverhetzung vorbestraft war – erst nachträglich wurde er durch Gerichtsbeschluss von der Schöffenliste gestrichen. In NRW wurde eine Schöffin gewählt, die sich seit Jahren in den sozialen Medien rassistisch und menschenverachtend äußert. Eine rechte Aktivistin wirkte an einem Prozess am Erfurter Landgericht mit, ehe sie einige Monate später durch Beschluss des OLG ihres Schöffenamtes enthoben wurde.
Am Landgericht Braunschweig wurde im Februar eine Schöffin ausgewechselt, weil sie in sozialen Medien Mordaufrufe teilte. In Hessen schafften es zwei Bewerbende auf die Vorschlagslisten, ehe sie aufgrund von ausländerkritischen Einstellungen und rechtsextremen Parteizugehörigkeiten nicht gewählt wurden. Bundeszentralregisterauszüge der Bewerbenden werden dabei längst nicht in allen Ländern eingeholt. Einzig in Bremen wurden die Bewerbenden bereits bei der Aufstellung der Vorschlagsliste mittels „Recherchen in öffentlich zugänglichen Quellen“ überprüft.
Nach Auskunft des Senats kam es in Berlin am Amtsgericht Tiergarten in der Amtsperiode 2014 bis 2018 zu einem Amtsenthebungsverfahren wegen menschenverachtender Posts in sozialen Medien. In der letzten Amtsperiode 2019 bis 2023 gab es weder am Amtsgericht Tiergarten noch am Landgericht I ein Amtsenthebungsverfahren.
Jede Instanz trägt eine Mitverantwortung für das Schöffenamt
Die Änderung des Deutschen Richtergesetzes ist begrüßenswert, aber sie ist kein Allheilmittel. Zu einer fehlerhaften Besetzung der Gerichte und damit auch zu absoluten Revisionsgründen dürfte es gar nicht erst kommen. Hierfür ist eine Überprüfung der persönlichen Eignung und der Verfassungstreue der Bewerbenden erforderlich, ehe die Vorschlagsliste aufgestellt wird und es zur Wahl kommt. Die Berliner Bezirke benötigen für die Überprüfung ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen. Denn nur so lassen sich die offensichtlich notwendigen Überprüfungen umfassend umsetzen, um die demokratischen Werte unseres Justizsystems zu sichern. Dabei darf die Verantwortung zur Überprüfung der Verfassungstreue von Schöffinnen und Schöffen nicht zwischen den beteiligten Stellen „hin- und hergeschoben“ werden! Jede Instanz trägt eine Mitverantwortung für die Überprüfung der Verfassungstreue der Berliner Schöffinnen und Schöffen und somit letztlich für das Finden rechtsstaatlich ordnungsgemäßer Urteile.