Der Berliner Verfassungsschutzbericht - Teil I: Über den Verfassungsschutz, den Bericht und die Gewaltfrage; Sonderthema Journalismus

Vor wenigen Wochen wurde der Berliner Verfassungsschutzbericht 2021 veröffentlicht. In ihm legt der Berliner Verfassungsschutz Rechenschaft über seine Arbeit ab. Die Kontrolle ist dabei jedoch nicht der Hauptsinn des Berichts – dafür existiert in Berlin der, auch im deutschlandweiten Vergleich starke, Verfassungsschutzausschuss des Abgeordnetenhauses, in dem ich selbst auch Mitglied bin.

Nein, das Hauptziel des Verfassungsschutzberichtes ist das Informieren der Öffentlichkeit. Dabei handelt es sich nicht um ein „nice-to-have“. Obwohl der Verfassungsschutz sich weitreichender nachrichtendienstlicher Methoden bedienen kann (z. B. geheime Überwachungen), hat er nicht die direkten Eingriffsmöglichkeiten der Polizei. Er kann so z. B. niemanden verhaften. Kooperation mit der Polizei gibt es daher auch nur bei Terror und schweren Gewaltverbrechen. Er informiert die Gesellschaft und Politik über Gefahren für die Demokratie – dann ist es an uns, mit diesem Wissen zu handeln.

Vereinfacht gesagt: Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es nicht, einen Neonazi anzuzeigen, wenn er zu schnell Auto fährt, sondern die Bevölkerung darüber zu informieren, wenn der Nazi eine Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ist. Dabei geht es keineswegs nur um Terror – denn Gewalt ist keine notwendige Bedingung für die Aufmerksamkeit durch den Verfassungsschutz, ebenso wenig wie eine verfassungsfeindliche Meinung an sich – es sind die Bestrebungen (das Handeln) zur Abschaffung unserer Demokratie, die im Fokus des Verfassungsschutzes stehen. Die gerade von linker Seite oft kritisierte Extremismustheorie wird vom Berliner Verfassungsschutz nicht als Entscheidungsgrundlage verwendet. Stattdessen wird die Verfassungsfeindlichkeit als aktive Ablehnung des Rechtstaatsprinzips, der Demokratie und der Menschenwürde definiert.

Wichtig bei der Lektüre des Berichts ist es zudem, die Begrifflichkeiten des Verfassungsschutzes zur Gewalt zu kennen. Für alle Phänomenbereiche, mit einer Ausnahme, wird ein dreistufiges Model verwendet: gewaltbefürwortend, gewaltorientiert und gewaltbereit. Erstere halten die Anwendung von Gewalt zwar für legitim, führen diese jedoch nicht selbst aus; gewaltorientierte Personen unterstützen die Gewaltanwendung aktiv ohne sie (meist) selbst durchzuführen; Gewaltbereite Menschen sind zuletzt, diejenigen, die bereit sind, zur Verwirklichung ihrer Ziele Gewalt anzuwenden. Die Ausnahme für diese Einteilung ist der Linksextremismus: hier hat es im Verfassungsschutzverbund, dem Kooperationsorgan der Verfassungsschutzbehörden in Deutschland, noch keine Einigung gegeben. Für den Linksextremismus wird nur der nicht weiter unterteilte Begriff „gewaltbereit“ genutzt.

Den ganzen Verfassungsschutzbericht findet Ihr hier.

Sonderthema Journalismus – „ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick“

In jedem Jahr gibt es in dem Bericht des Verfassungsschutzes ein Schwerpunktthema. In diesem Jahr ging es um die Angriffe auf die freie Presse durch Verfassungsfeinde. 2021 gab es in Deutschland so viele Angriffe wie nie zuvor. Der Verfassungsschutz beruft sich dabei auf die Zahlen des ECPMF.   Als in unsere Verfassung festgelegtes Grundrecht ist es daher auch Aufgabe des Berliner Verfassungsschutzes, aufkommende Gefahren für die Pressefreiheit in Deutschland zu beobachten und davor zu warnen.

Die größte Gefahr für Journalist:innen in Deutschland geht dabei eindeutig von Rechtsextremen aus. Laut der Studie „Hass und Angriffe auf Medienschaffende“ (2020, Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld) wurden zwei Drittel der befragten Journalist:innen bereits verbal oder körperlich angegriffen (16 % körperlich). Ebenfalls 16 % erhielten Morddrohungen. Von den Angriffen waren 93 % politisch motiviert und von diesen wiederum wurden 82 % der rechtsextremen Szene zugeordnet.

Visualisierung zu der Frage der wahrgenommenen Angriffe aud Medienschaffende
Quelle: „Hass und Angriffe auf Medienschaffende“ (2020, Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld)

Kaum eine rechte Demo kommt ohne den Begriff „Lügenpresse“ aus. Der Verfassungsschutz führt aus, dass der Begriff aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt und bereits damals von antidemokratischen und antiliberalen Kräften antisemitisch aufgeladen verwendet wurde. Die freie Presse selbst ist zum klaren Feindbild geworden. So finden sich auch immer wieder Journalist:innen auf entsprechenden Feindeslisten der rechten Szene. Zugleich wird mit gezielten Desinformationskampagnen versucht, das Weltbild der eigenen Anhänger:innen zu stärken, ohne dabei auf interne Konsistenz zu achten. Vielmehr ist der innere Widerspruch gewollt, um Wahrheit und Fakten, jeweils Grundsätze des Journalismus, vollends aus der rechtsextremen Szene zu entfernen.

Neben den Rechtsextremen macht der Verfassungsschutz auch Gefahren für den Journalismus in der islamistischen und linksextremen Szene aus. Beim ersteren sind der Antisemitismus und die Ablehnung der freien westlichen Gesellschaft maßgeblich für den Hass auf die Presse. Bei Linksextremen gibt es, anders als bei rechten, keine eigenen Kampagnen gegen die Presse und Pressefreiheit als solche. Im Visier von Drohungen stehen dabei eher Einzelpersonen, die kritisch über die Szene berichten.

Wie es weiter geht

Dies war Teil eins meiner Reihe über den Berliner Verfassungsschutzbericht 2021. Im nächsten Artikel hierzu wird es um die Themenbereiche Staatsdelegitimierer, Rechtsextremismus, Reichsbürger gegen sowie um den Umgang mit extremistischem Gedankengut in unseren Sicherheitsbehörden gehen.