Die Aktivist:innen der sogenannten „Letzten Generation“ haben umfangreiche Blockaden für Berlin angekündigt. Anstatt sich auf friedliche Massendemonstrationen, wie die jungen Leute von Fridays for Future tun, zu konzentrieren oder wie andere Klimaschützer:innen zu versuchen, ihre Themen innerhalb von Parteien mehrheitsfähig zu machen (oder selbst eine zu gründen), setzt die „Letzte Generation“ auf zivilen Ungehorsam. Das ist das bewusste und öffentliche Brechen von Gesetzen, um auf einen politischen Missstand hinzuweisen.
Als Sprecher für Verfassungsschutz der SPD-Fraktion hatte ich schon einige Male Diskussionen über die „Letzte Generation“ im Abgeordnetenhaus und als überzeugter Klimaschützer auch schon häufig in meinem privaten Umfeld. Daher möchte ich diesen Anlass nutzen, einige Fragen zur „Letzten Generation“ und ihren Protesten zu diskutieren.
Teilt mir gern Eure Meinung dazu mit : post@jan-lehmann.de
Ist die Klimakrise eine reale Gefahr?
Beginnen wir mit etwas Grundlegendem: die „Letzte Generation“ begründet ihre Aktionen mit der Notwendigkeit, angesichts der Klimakrise zu handeln. Es ist unumstrittener wissenschaftliche und auch politische Konsens unter den demokratischen Parteien, dass der Klimawandel eine konkrete und reale Gefahr für das Fortbestehen für unsere Art zu Leben ist. Wobei ich mich auch manchmal frage, wie bestimmte Politiker:innen ihr Handeln damit zusammenbringen.
Klimaschutz ist in der Berliner Politik nicht meine Aufgabe, daher äußere ich mich vergleichsweise selten zu diesem Thema. Doch für mich ist klar: Die Klimakrise zu bewältigen und Millionen an Toten und Milliarden an Flüchtlingen zu verhindern, ist die größte Aufgabe der Menschheit in der Gegenwart.
Tun wir nicht schon ganz genug für den Klimaschutz?
Nein. Alles deutet darauf hin, dass sich die Welt noch in unserer Lebenszeit um über deutlich mehr als 2 °C erhitzen wird, wenn wir so weitermachen, wie bisher. Die Sommer werden immer wärmer. Die katastrophalen Folgen einer solchen Erhitzung wurden schon vielmals besprochen
Die Welt tut nicht genug, Europa tut nicht genug, Deutschland tut nicht genug und auch Berlin tut nicht genug. Die nächste Berliner Regierung muss große Schritte unternehmen, um den Klimaschutz voranzubringen und dabei die soziale Gerechtigkeit nicht außen vor zu lassen. Das Sondervermögen Klimaschutz wäre ein guter Weg. Dass Berlin früher als 2045 klimaneutral werden muss, wie von vielen gefordert und auch von der SPD gewollt, muss dabei selbstverständlich sein. Denn Berlin hat gute Bedingungen dafür als dicht besiedelte Stadt ohne Schwerindustrie.
Zurück zum konkreten Thema: Die „Letzte Generation“ setzt sich also für ein legitimes Problem ein.
Kann ziviler Ungehorsam legitim sein?
Ja, in der Geschichte gibt es verschiedene Beispiele, die im Allgemeinen als legitim angesehen werden. Etwa diverse Proteste der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung oder der Kampf um die indische Unabhängigkeit rund um Mahatma Gandhi oder zuvor die britischen Suffragetten. Viele große Denker:innen, wie z.B. Hannah Arendt, sehen in zivilem Ungehorsam auch ein legitimes Mittel. Über die richtige Umsetzung kann dabei gestritten werden. Einige Dinge macht die „Letzte Generation“ jedoch vorbildlich: Sie entziehen sich nicht der Strafe, sondern lassen sich widerstandslos von der Polizei abführen. Sie folgen einem klaren Vorsatz der unbedingten Gewaltfreiheit und hat wohl auch für Notfälle (Stichwort Rettungsgassen) Regeln.
Sie verfolgt auch nicht den Sturz unseres Systems und ist damit auch kein Fall für den Verfassungsschutz, wie wir bereits einige Male im Verfassungsschutzausschuss diskutiert hatten. Im Gegenteil: Ihre Methoden können nur in einer Demokratie funktionieren. In anderen Systemen ist dem Staat die öffentliche Meinung und Aufmerksamkeit, ebenso wie Protest, vollkommen egal.
Dabei verlangt die „Letzte Generation“ in erster Linie die Einhaltung bestehender Gesetze. Deutschland hat sich im Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet, seinen Anteil zu leisten, die Erderwärmung auf maximal 2 °C zu begrenzen. Im deutschen Klimaschutzgesetz ist die Klimaneutralität spätestens 2045 vorgeschrieben.
Kann ziviler Ungehorsam funktionieren?
Ja, die bereits oben angesprochen historischen Beispiele zeigen es. Auch damals waren die Aktionen des zivilen Ungehorsams unbequem und unbeliebt. 1961 wurde in den USA im Zuge Bürgerrechtsbewegung die Bevölkerung befragt, ob sie glaubt, dass der zivile Ungehorsam den Zielen der Bewegung hilft oder schadet. Explizit genannt wurden dabei Sit-ins in segregierten Restaurants oder auch Freedom Rides: Busfahrten mit weißen und schwarzen Menschen, die vermischt saßen und häufig von wütenden Mobs aufgehalten wurden. 57 % der amerikanischen Bevölkerung waren überzeugt, dass diese Aktionen eher schaden würden, nur 24 % glaubten, dass sie halfen.
Ich will damit keineswegs die Inhalte dieser Protestbewegungen gleichsetzen oder vergleichen. Sondern nur aufzeigen, dass es in der Natur des zivilen Ungehorsams liegt, nicht der Mehrheitsmeinung zu entsprechen. Wenn schon die entsprechende Mehrheitsmeinung vorhanden wäre, brauchte es diese Proteste nicht in einer Demokratie.
Die „Letzte Generation“ erzeugt viel Unzufriedenheit. Und ich würde mich auch ärgern, wenn ich wegen einer Blockade zu einem Termin zu spät kommen würde. Selbstjustiz ist und bleibt dabei jedoch vollkommen inakzeptabel, wie auch Berlins Innensenatorin Spranger immer wieder betont. Wenn die S-Bahn ausfällt, verprügelt man auch nicht den Schaffner – auch wenn man mal wütend ist.
Helfen die Aktionen der „Letzten Generation“ dem Klimaschutz?
Ich weiß es nicht. Mein Mittel wäre es nicht. Ich verstehe aber die Frustration, dass vieles beim Klimaschutz viel zu langsam geht.
Über die Blockaden wird viel von den Medien berichtet und es gibt wahrscheinlich niemanden in Berlin mehr, der nicht davon gehört hat. Ist dies im Sinne von „any press is good press“ – also jede Presse ist gute Presse – nun gut? Reden wir jetzt mehr über den Klimaschutz oder nur mehr über die Blockaden? Wird besserer Klimaschutz vielleicht sogar verhindert, weil Menschen sich darüber ärgern? Schadet die „Letzte Generation“ anderen konstruktiveren Akteur:innen in der Klimaschutzpolitik? Werden durch die Blockaden nur die Fronten verhärtet, sodass selbst unbestreitbar sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen nicht mehr mehrheitsfähig sind? Dies wird wohl nur die Geschichte abschließend bewerten können.
Ich stelle mir all diese Fragen, bin aber auch davon überzeugt, dass es in unserer modernen Aufmerksamkeitsökonomie in erster Linie darum geht, worüber wir reden – nicht so sehr darum, was gesagt wird. Es ist besser über den Klimaschutz zu streiten, als gar nicht darüber zu reden.
Unterstütze ich also die „Letzte Generation“?
Das kann ich so weder bejahen noch verneinen. Sicher stimme ich nicht jeder Forderungen der „Letzten Generation“ zu und mir sind sicherlich auch nicht alle Aktivist:innen oder ihre Aktionen sympathisch. Sie streiten aber für die richtige Sache, von der auch ich überzeugt bin. Wir brauchen eine radikalere Klimaschutzpolitik. Wenn Klimaschutz jetzt nicht weh tut und teuer ist, wird es nicht mehr reichen. Daher bin ich auch immer bereit, die „Letzte Generation“ gegen diejenigen zu verteidigen, die in Wahrheit gar keinen Klimaschutz wollen.
Die Methode der „Letzte Generation“ ist nicht mein Weg. Aber kann ich mit Sicherheit behaupten, dass es der falsche ist? Nein, deshalb beobachte ich die Aktionen weiter mit kritischer Solidarität.