Der hier gezeigte Bundesrat hat sich mit dem Bundestag zu Videoverhandlungen geeinigt

Die Corona-Pandemie gab seit 2020 den entscheidenden Anstoß für digitale Gerichtsverhandlungen, obwohl sie per Gesetz schon seit 2002 möglich waren. Seither nimmt die Zahl digitaler Verhandlungen in ganz Deutschland stetig zu, was für mich ein Ausdruck zeitgemäßer und auch bürgernaher Verfahrensgestaltung ist. Auch in Berlin waren zum Stand November 2023 72 % aller Berliner Gerichtssäle digital nutzbar, wie aus der Antwort meiner schriftlichen Anfrage hervorgeht.

Vermittlungsausschuss einigt sich über Regeln für Videoverhandlungen

Nun haben sich Bund und Länder in­for­mell über ein Ge­setz zur För­de­rung der Vi­deo­kon­fe­renz­tech­nik in den Zivil- und Fachgerichten (Verwaltungs-, Finanz-, Arbeits- und Sozialgerichten) ver­stän­digt. Doch bevor im Hinblick auf das Gesetz eine Verständigung gelingen konnte, wurde der Vermittlungsausschuss tätig – denn diesen rief der Bundesrat am 15. Dezember 2023 wegen Bedenken hinsichtlich der Frage, wann Richter:innen eine Verhandlung per Videokonferenz ablehnen dürfen, an. Die (Begründungs-)Hürden für eine Ablehnung der Videoverhandlung durch die Richter:innen erachteten die Ländervertreter:innen als zu hoch angesetzt.

Videoverhandlung nur bei Geeignetheit und ausreichend Kapazitäten

Denn es gibt auch Fälle, in denen eine Videokonferenzverhandlung sich weniger eignet oder nicht genügend Kapazitäten dafür vorhanden sind. Die nun vom Vermittlungsausschuss vorgebrachte Beschlussempfehlung vom 12. Juni 2024 sieht vor, dass Videoverhandlungen in den betroffenen Gerichtsbarkeiten nur möglich sind, wenn sich die Fälle eignen sowie ausreichende Kapazitäten zur Verfügung stehen. Hierfür sollen der maßgebliche § 128 a ZPO sowie die Paragrafen der übrigen betroffenen Verfahrensordnungen umgestaltet werden. Ist sowohl die Geeignetheit als auch die Kapazität unproblematisch zu bejahen, können Richter:innen die Videoverhandlung selbst anordnen oder den Prozessparteien und ihren Vertreter:innen die Videoverhandlung gestatten.

Erprobung vollvirtueller Videoverhandlungen

Auch vollvirtuelle Videoverhandlungen sollen zum Zwecke der Erprobung jetzt möglich sein, wenn alle Mitglieder des Gerichts damit einverstanden sind und kein Einspruch eingelegt wird. Die Besonderheit einer vollvirtuellen Verhandlung liegt insbesondere daran, dass Richter:innen die Verhandlung nicht aus dem Gerichtssaal aus leiten –  was wiederum andere Regelungen für die (Saal-)Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren erfordern wird. Hinsichtlich der Erprobung der vollvirtuellen Videoverhandlung ist nach vier und acht Jahren eine Evaluation durch das Bundesministerium der Justiz vorgesehen.

(Noch) keine Einigung zum geplanten Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz

Doch auch für das Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz) rief der Bundesrat am 15. November 2023 den Vermittlungsausschuss an. Das Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz soll nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ermöglichen, dass die Dokumentation in Strafverhandlungen durch Tonaufzeichnung erfolgt, „die automatisiert in ein elektronisches Textdokument (Transkript) übertragen wird“.  Auch eine Bildaufzeichnung soll zusätzlich möglich sein. Hintergrund des Gesetzentwurfs ist, dass bislang in erstinstanzlichen Strafprozessen vor den Land- und Oberlandesgerichten nur ein Formalprotokoll erstellt wird, das keine wesentlichen Ergebnisse von (Zeug:innen-)Vernehmungen beinhaltet. Bereits in einer Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zeigten sich der Deutsche Richterbund und der Weiße Ring gegenüber dem geplanten Gesetz kritisch.

Tiefgreifende fachliche Bedenken

Auch der Bundesrat äußerte „tiefgreifende fachliche Bedenken“ –  „insbesondere zur Gefahr für die Wahrheitsfindung und Beeinträchtigung des Opferschutzes, aber auch zu Verfahrensverzögerungen und zum Verhältnis von personellem, technischen, organisatorischen und finanziellen Aufwand zum Mehrwert“. Der Vermittlungsausschuss hat die Beratungen zu dem Gesetz am 12. Juni 2024 vertagt. Wann mit der Wiederaufnahme der Beratungen zu rechnen ist, ist unklar.