Der Berliner Verfassungsschutzbericht 2021 - Teil II: Rechtsextremismus, Corona-Leugner, Reichsbürger und Extremismus in Sicherheitsbehörden

Im zweiten Teil meiner Reihe zum Berliner Verfassungsschutzbericht 2021 geht es um Corona-Leugner, den Berliner Rechtsextremismus, Reichsbürger und um Extremisten innerhalb unserer Sicherheitsbehörden.

Staatsdelegitimierer und Corona-Leugner

Berlin war zentral für die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, oft fand dabei eine Verquickung mit den sogenannten „Reichsbürgern“ statt. Der Verfassungsschutz betont, dass nicht alle Proteste gegen die Corona-Maßnahmen verfassungsfeindlich und damit ein Problem waren. Es fand jedoch vielmals eine Radikalisierung statt, bei der sich einfache Kritik gegen das Regierungshandeln zu einer fundamentalen Opposition gegenüber den Institutionen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung entwickelte. Das geschah oft online, z. B. über einschlägige Telegram-Gruppen. Regierung, Parlament, Justiz, Wissenschaft und Medien – alle wurden darin als Feinde angesehen und grundlegend abgelehnt.

Das Feld der vom Verfassungsschutz „Staatsdelegitimierer“ genannten Gruppe ist dabei sehr heterogen. Es ist also nicht ohne Weiteres einer Altersgruppe, sozialen Schicht oder Lebensgeschichte zuzuordnen. Der Verfassungsschutz muss diese „neuen“ Verfassungsfeinde sehr genau beobachten und analysieren. Denn die Politik und die Gesellschaft benötigen mehr Wissen über diese Gruppe, um richtig reagieren und handeln zu können. Spannend wird dabei sein, wie sich diese Szene in Zukunft entwickeln wird, wenn der ursprüngliche Auslöser – z.B. Corona – nicht mehr vorhanden ist.

Personenpotenzial Rechtsextremismus 1440 (+10)
Quelle: Berliner Verfassungsschutzbericht 2021, S.43

Rechtsextremismus

Für mich ist klar: Die größte Gefahr für die Demokratie und die freie Gesellschaft ist der Rechtsextremismus. Dies sieht so auch der Verfassungsschutz und beschäftigt sich ausführlich mit ihm.

Die rechtsextreme Szene in Berlin hat ihre Vorgehensweise im Vergleich zum Jahr 2020 geändert. Während damals noch versucht wurde, sich an die „Corona-Proteste“ anzukoppeln und sie für sich zu vereinnahmen, wurde dieser Versuch 2021 erfolglos aufgegeben. Stattdessen wird mit umfangreichen Fake-News ein Staats- und Demokratieversagen vorgetäuscht. Die an der polnisch-belarussischen Grenze ankommenden (und dort in gewaltsamer und unwürdiger Art und Weise abgewiesenen) Geflüchteten wurden zu einer neuen „Flüchtlingskrise“ hochstilisiert. Ähnlich wurde auf die Flut im Ahrtal reagiert, bei der behauptet wurde, der Staat würde keine oder unzureichend Hilfe leisten. Zugleich wurde versucht, sich als „Kümmerer“ darzustellen: Es wurden Spenden gesammelt und sich in der stark betroffenen Gemeinde Neuenahr-Ahrweiler in Rheinland-Pfalz versammelt. Unter den 80 bis 100 Rechtsextremen und „Reichsbürgern“, die sich dort in einer Grundschule trafen, befanden sich auch Berliner:innen.

Der Verfassungsschutz schätzt, dass etwa 1440 Personen in Berlin Teil der rechtsextremen Szene sind.

Interessant ist dabei die Verteilung auf die unterschiedlichen Organisationen: Langsam verdrängt die Partei „Dritter Weg“, die ihre Mitgliederzahl verdoppeln konnte, die NPD. Der „Dritte Weg“ ist dabei, man kann es kaum glauben, für diejenigen interessant, für die die NPD zu „moderat“ ist. Beide haben in Berlin kaum Erfolg bei Wahlen. Der Verfassungsschutz geht davon, dass dies für den „Dritten Weg“ unwichtig und kein Ziel ist, noch weniger als für die NPD, die zum Teil in ostdeutschen Landes- und Kommunalparlamenten vertreten war. Die Organisation als Partei ist dabei lediglich strategisch: Parteien genießen in Deutschland Verfassungsrang und sind daher besonders geschützt. Auch für rechtsextreme Parteien existieren daher hohe Hürden für staatliche Eingriffe, wie Verbote und Beobachtungen durch den Verfassungsschutz.

Die AfD

Aufmerksame Leser:innen werden bemerken, dass im Berliner Verfassungsschutzbericht kein Wort über die AfD vorkommt. Im letzten Verfassungsschutzbericht war ursprünglich ein Abschnitt über den extremen „Flügel“ der AfD vorhanden. Die Partei hat jedoch geklagt und der Verfassungsschutz musste den Abschnitt entfernen. Dabei spielte, neben dem oben erwähnten Parteienprivileg, auch die Wichtigkeit des Verfassungsschutzberichtes eine Rolle. Die Aufnahme in den Bericht ist praktisch das schärfste Schwert, das der Verfassungsschutz zu bieten hat. Daher muss die Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung ohne Frage gegeben sein.

Es ist geheim, ob der Verfassungsschutz die Berliner AfD als Verdachtsfall einstuft. Laut Medienberichten, ist dies, wie in vielen anderen Bundesländern, auch in Berlin der Fall.

Auch die AfD-Bundespartei soll, nach zwei Jahren als Prüf-Fall, als Verdachtsfall eingestuft worden sein, wenn auch dies nicht öffentlich bestätigt wurde. Als Verdachtsfall kann die AfD auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln (u. a. V-Leute) untersucht werden.

Die Berliner AfD galt lange als etwas moderater als Landesverbände. Seit jedoch der Landesvorsitzende Pazderski von der jetzigen Berliner Landes- und Fraktionsvorsitzenden Kristin Brinker abgelöst wurde, bewegt sich der Landesverband immer weiter nach rechts. Pazderski galt als Gegner von Höcke und dem „Flügel“. Er war daher mitverantwortlich für eine moderatere Entwicklung. Auch Brinker gilt im Ton und Auftreten als gemäßigt, ist jedoch in strategischer Partnerschaft mit dem Höcke-Lager und wurde von diesen gewählt. Es ist meiner Meinung nach nur eine Frage der Zeit, bis sich die AfD auch in Berlin als immer weiter offen rechtsradikal zeigt.

Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden

Eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes in Berlin sind die Sicherheitsüberprüfungen von Mitarbeiter:innen der Berliner Verwaltung. Alle, die mit vertraulichen Unterlagen zu tun haben oder sicherheitsrelevante Aufgaben (wie im Polizeidienst) haben, werden vom Verfassungsschutz überprüft. Je nach Geheimhaltungsstufen ist diese Überprüfung unterschiedlich intensiv.

In den letzten Jahren trat unter anderem dabei auch die Suche nach rechtsextremen Einstellungen innerhalb des öffentlichen Dienstes in den Fokus. Vom Januar 2017 bis Ende August 2021 konnte der Verfassungsschutz in den Berliner Behörden 74 Verdachtsfälle mit 93 betroffenen Personen ausmachen. Verdachtsfälle sind alle Fälle, bei denen dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet wurden.

Seit 2020 existiert dazu ein „11-Punkte-Plan“, der die Verfolgung von extremistischen Bestrebungen innerhalb der Sicherheitsbehörden erleichtern soll.

Personenpotenzial 2021: Reichsbürger und Selbsverwalter 670, davon 150 rechtsextremistisch
Quelle: Berliner Verfassungsschutzbericht 2021, S. 47

Reichsbürger

Die sogenannten „Reichsbürger“ glauben nicht an die Existenz der Bundesrepublik. Sie sind der Meinung, das Deutsche Reich existiere nach wie vor. Daher lehnen sie unseren Staat ab. Sie möchten die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu Gunsten des Kaiserreiches abschaffen. Zentraler Kern ihres Weltbildes sind dabei Verschwörungstheorien, oft vermischt mit Antisemitismus und nationalsozialistischen Ideen. Meist haben sie jedoch kein „geschlossenes ideologisches Weltbild“. Wie so häufig bei Personen im verschwörungstheoretischen Umfeld hat jeder seine eigene Vorstellung davon, was nun die „eine Wahrheit“ sei.

Anders als im Vorjahr hatten die „Reichsbürger“, ähnlich wie die Rechtsextremismus-Szene, 2021 weniger Erfolg bei der Anbindung an „Corona-Proteste“. Stattdessen blieb die Szene eher unter sich. Sie war daher auch weniger öffentlichkeitswirksam. Dennoch gilt sie als ungebrochen aktiv. Die „Reichsbürger“ sind besonders gefährlich, weil sie eine hohe Gewaltbereitschaft vorweisen. Der Verfassungsschutz schreibt: „Bereits vor der Pandemie hatte diese toxische ideologische Mixtur der Reichsbürger die Radikalisierung Einzelner forciert und zu Gewalttaten animiert.“

Wie es weitergeht

Dies war Teil zwei meiner Reihe über den Berliner Verfassungsschutzbericht 2021. Im nächsten und letzten Artikel geht es um die Themenbereiche Islamismus, Linksextremismus und sonstige Gefahren.