Handschellen als Symbolbild für die Auslieferung

Ende Juni wurde Maja T. nach Ungarn ausgeliefert, um dort wegen des Vorwurfs schwerer Körperverletzung vor Gericht gestellt zu werden. Da das Bundesverfassungsgericht mit einer Entscheidung diese Auslieferung stoppen wollte, zu dem Zeitpunkt die Person jedoch nicht mehr in deutschem Gewahrsam war, gab es einiges an öffentlicher Aufregung. Im Raum stand der Vorwurf, die Berliner Staatsanwaltschaft habe von der geplanten Verfassungsbeschwerde gewusst und absichtlich einem Entscheid des Verfassungsgerichts mit einer schnellen Auslieferung zuvor kommen wollen. Das war nicht der Fall.

Anfang Juli wurde darüber in der Sitzung des Rechtsausschusses (online abrufbar) besprochen und ausgewertet. Seitens der Justizverwaltung war Senatorin Dr. Badenberg anwesend, seitens der für die Auslieferung zuständigen Generalstaatsanwaltschaft die Leitende Oberstaatsanwältin Simone Herbeth.

Die Gründe für die Auslieferung

Herbeth skizzierte die Hintergründe und den Ablauf des Auslieferungsverfahrens um Maja T. wie folgt: Die ungarischen Behörden haben durch Übermittlung einer Ausschreibung im Schengener Informationssystem im November 2023 und anschließend durch Übermittlung eines europäischen Haftbefehls ebenfalls im November 2023 um Festnahme von Maja T. mit dem Ziel einer Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht.

Ausweislich des Haftbefehls soll sich Maja T. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor den Taten zu einer 2017 aufgebauten kriminellen Gruppierung angeschlossen haben. Deren Ziel soll es gewesen sein, vermeintliche Sympathisanten des rechten Spektrums mit gewaltsamen Übergriffen zu überziehen. Nach Anweisung eines führenden Mitglieds dieser Vereinigung soll sich Maja T. im Februar 2023 in Budapest an mehreren schweren Körperverletzungen an politischen Gegner:innen beteiligt haben.

Wegen der genannten Vorfälle wurde auch in Deutschland parallel auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 StGB bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden ein Spiegelverfahren eingeleitet. Im Dezember 2023 wurde Maja T. aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Dresden in Berlin festgenommen und in die JVA Dresden gebracht. Dort erfolgte auch die richterliche Vernehmung. Ende Februar übernahm der Generalbundesanwalt das Verfahren von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Dieser verkündete, ebenso wie zuvor auch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, der Auslieferung den Vorrang vor der Führung des inländischen Ermittlungsverfahrens zu geben.

Diskriminierung aufgrund der non-binären Identität?

Mit Beschluss vom 01. März 2024 hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts Berlin die Auslieferungshaft gegen Maja T. beschlossen. Im Rahmen des Auslieferungsverfahrens hat Maja T. über ihre Rechtsbeistände umfassend Stellung genommen, insbesondere zu der Frage, dass sie in Ungarn wegen ihrer geschlechtlichen Identität kein rechtsstaatliches Verfahren erwarte. Das Kammergericht Berlin hat daraufhin die Generalstaatsanwaltschaft um wiederholte Nachfragen bei den ungarischen Behörden gebeten. Die Nachfragen wurden von den ungarischen Behörden jeweils umfangreich beantwortet. Die ungarischen Behörden haben Garantieerklärungen abgegeben. Zum einen versprachen sie eine spätere Rücküberstellung im Falle einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe. Die Haftstrafe würde also in Deutschland verbüßt werden. Zum anderen garantierten sie angemessene Haftbedingungen. Diese sollen von deutschen Diplomat:innen oder Konsularbeamt:innen kontrolliert werden können. Zudem solle bei Haftantritt jeweils eine Risikoanalyse für Maja T. erfolgen.

Nachdem die Garantieerklärungen dem Kammergericht zur Kenntnis gegeben worden sind, wurde auf dieser Grundlage die Auslieferung von Maja T. am 27. Juni 2024 für zulässig erklärt. Das Gericht setzte sich bei der Entscheidung mit den Garantieerklärungen Ungarns und mit einer Abwägung zwischen weniger belastender inländischer Verfolgung einerseits und andererseits, dem Tatschwerpunkt im Ausland sowie der zu berücksichtigenden Opferinteressen auseinander.

Der Ablauf der Auslieferung

Zum konkreten zeitlichen Ablauf führte die Leitende Oberstaatsanwältin Herbeth aus, dass das Kammergericht die Akten am Beschlusstag an die Generalstaatsanwaltschaft zurückgereicht hat. Daraufhin bewilligte auch die Fachabteilung der Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung und informierte den Generalbundesanwalt, der für das inländische Verfahren verantwortlich ist. Der Generalbundesanwalt beantragte am Bundesgerichtshof eine Zustimmung zur Auslieferung.

Der entsprechende Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2024 ist der JVA Dresden und den Anwälten von Maja T. noch am selben Tag gegen 15:00 Uhr bekannt gegeben worden. Die Generalstaatsanwaltschaft erreichte der Beschluss um 15:31 Uhr per E-Mail. Gegen 16:00 Uhr gab es eine telefonische Rücksprache eines Rechtsbeistandes von Maja T. bei der Generalstaatsanwaltschaft hinsichtlich des im Beschluss des Bundesgerichtshofs erwähnten Zulässigkeitsbeschlusses des Kammergerichts. Die Anwälte haben den Zulässigkeitsbeschluss um 17:05 Uhr erhalten. Weder bei der Anfrage noch in einem anderen Zusammenhang wurde seitens Maja T. oder den Anwälten ein mögliches oder ins Auge gefasstes einstweiliges Anordnungsverfahren bei dem Bundesverfassungsgericht erwähnt oder angekündigt.

Das sächsische LKA plante eine Überstellung per Helikopter, der jedoch erst ab 04:00 Uhr starten durfte. Das LKA holte Maja T. zwei Stunden vorher aus der JVA Dresden ab. In diesem Zusammenhang führte Maja T. Gespräch mit ihrem Rechtsbeistand. Ebenso erfolgte noch in der Haftanstalt eine telefonische Unterredung zwischen einem Justizbediensteten und dem Rechtsbeistand. Laut Aussage von Maja T. Anwälten kündigten sie gegenüber den sächsischen Beamten in diesem Gespräch das Einlegen von Rechtsmitteln an. Das sächsische LKA verneint diese Version jedoch. Möglich sei es, dass im Gespräch von einer „Beschwerde“ die Rede war – für die Anwälte wäre damit klar eine Verfassungsbeschwerde gemeint, während die sächsischen Beamten dass womöglich missverstanden haben könnten. Die sächsische Polizei hat daraufhin nach Rücksprache mit der zuständigen Fachabteilung der Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung weiter vollzogen.

Bundesverfassungsgericht wurde zu spät angerufen

Maja T. wurde sodann am 28. Juni 2024 um 06:50 Uhr an die österreichischen Behörden zur sogenannten Durchlieferung nach Ungarn übergeben. Auch zu diesem Zeitpunkt war ein einstweiliges Anordnungsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht weder anhängig noch angekündigt. Erst um 07:38 Uhr ist der Antrag der Rechtsbeistände auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Von hier wurde die Generalstaatsanwaltschaft um 08:32 Uhr über den eingegangenen Antrag informiert. Die Generalstaatsanwaltschaft informierte sodann das Bundesverfassungsgericht darüber, dass die Auslieferung von deutscher Seite aus bereits abgeschlossen sei und deutsche Behörden keinen Einfluss mehr auf das Geschehen hätten.

Dies liegt an der Besonderheit, dass die Durchlieferung durch Österreich nicht im Auftrag der deutschen Behörden erfolgte. Das ungarische Justizministerium hat diese bei den österreichischen Behörden erbeten. Rechtlich gesehen begründet die Bewilligung eines Durchlieferungsersuchens einen völkerrechtlichen Einzelfallvertrag, der im Falle einer Rücküberstellung nach Deutschland von Österreich verletzt worden wäre. Daher war es so, dass Maja T. sich mit Passieren der österreichischen Grenze nicht mehr in deutschem Hoheitsgebiet befand. Im Ergebnis äußert Simone Herbeth daher, dass die Generalstaatsanwaltschaft Berlin Maja T. nicht trotz Kenntnis eines beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Antrages ausgeliefert hat. Die Auslieferung war abgeschlossen, bevor der entsprechende Antrag bei dem Bundesverfassungsgericht einging und der Generalstaatsanwaltschaft überhaupt mitgeteilt wurde.

Verdächtig hohes Tempo bei der Auslieferung

Im Hinblick auf die geäußerten rechtsstaatlichen Bedenken gegen die Auslieferung nahm Simone Herbeth auf die Garantieerklärungen Ungarns Bezug, die auch Gegenstand sehr ausführlicher Prüfungen des Kammergerichts waren. Der Zulässigkeitsbeschluss des Kammergerichts ist für sich gesehen eine vollziehbare und rechtskräftige Entscheidung, gegen die im normalen Rechtszug kein förmliches Rechtsmittel zulässig ist. Da auch die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung bewilligte, sind die deutschen Behörden erst einmal gehalten, die Entscheidung entsprechend umzusetzen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine einstweilige Anordnung bei dem Bundesverfassungsgericht nicht fristgebunden ist und insofern keine Rechtsmittelfrist abzuwarten war.

Dass die Auslieferung in der Nacht erfolgte, begründet die Leitende Oberstaatsanwältin Herbeth damit, dass bei weiterem Zuwarten mit Störaktionen gerechnet würde. Diese waren auf einschlägigen Internetportalen zur Verhinderung der Auslieferung angekündigt. Das sächsische LKA ordnete daher eine nächtliche Auslieferung per Helikopter an.

Auslieferung war formal rechtmäßig

Als Jurist und Mitglied des Rechtsausschusses stelle ich nach den ausführlichen Darstellungen in der Ausschusssitzung vom 03. Juli 2024 fest, dass die Auslieferung de jure bzw. rein formal rechtmäßig erfolgte.

Dennoch ist eine derart schnelle Umschlagzeit nach der Entscheidung des Kammergerichts zumindest in Teilen fragwürdig. Der Antrag auf eine einstweilige Anordnung bei dem Bundesverfassungsgericht unterliegt keiner Frist und hat auch keine die Vollstreckung aufschiebende Wirkung. Trotzdem wäre es meiner Empfindung nach verhältnismäßig und zumutbar gewesen, einen etwaigen Antrag zumindest für 24 Stunden nach der Bekanntgabe des Auslieferungs-Beschlusses abzuwarten. In einem Rechtsstaat müssen der effektive Rechtsschutz sowie der Zugang zum Recht gegeben sein. Dies beinhaltet insbesondere die Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung. Bei Auslieferungsverfahren sind einstweilige Anordnungsanträge die dafür übliche Praxis.

Die Generalstaatsanwaltschaft begründet das schnelle Tempo der Auslieferung in einer Pressemitteilung damit, dass Entscheidungen nun einmal sofort vollzogen werden sollen. Meinem Rechtsempfinden überzeugt das nur bedingt.

Ordentliche Rechtsmittel für Auslieferung

Auch wenn es in diesem konkreten Fall nichts mehr ändert, so halte ich es für geboten, sich auf Bundesebene damit auseinanderzusetzen, ob gegen Auslieferungen ein ordentliches Rechtsmittel eingeführt werden sollte. Die aktuelle Rechtslage im Auslieferungsrecht bietet nur bedingten Schutz. In der Vergangenheit arbeitete dazu bereits eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Ob und welche Schlüsse die deutschen Behörden aus dem Fall Maja T. ziehen, bleibt abzuwarten.

Auch in einem weiteren Fall steht in den nächsten Wochen oder Monaten eine mögliche Auslieferung nach Ungarn an. Hanna S., einer 29-jährigen Nürnberger Studentin, die sich seit circa zwei Monaten in Untersuchungshaft befindet, soll sich einer linksextremistischen Vereinigung angeschlossen und Straftaten begangen haben. Genauere Informationen zum Fall Hanna S. teilte die Generalbundesanwaltschaft jedoch bislang nicht.

Zusammenfassend bleibt für mich festzuhalten, dass die Entscheidung bzw. das Auslieferungsverfahren trotz seiner formellen Rechtmäßigkeit aus rechtsethischer Sicht durchaus Fragen aufwirft, insbesondere hinsichtlich des effektiven Grundrechtsschutzes und des zu gewährenden Zugangs zum Recht.