Berliner Verfassungsschutzbericht - Teil III: Islamismus, Linksextremismus und sonstige Gefahren.

Dies ist der letzte Teil meiner Reihe zum Jahresbericht des Berliner Verfassungsschutzes. Ich fasse die Erkenntnisse zum Islamismus, zum Linksextremismus und zu sonstigen Gefahren kurz zusammen. Außerdem ziehe ich ein kurzes Fazit über die Arbeit des Berliner Verfassungsschutzes. Hier findet sich der erste Teil der Reihe (Verfassungsschutz, der Bericht und die Gewaltfrage; Sonderthema: Journalismus) und hier der zweite Teil (Corona-Leugner, Berliner Rechtsextremismus, Reichsbürger und Extremisten innerhalb unserer Sicherheitsbehörden).

PERSONENPOTENZIAL 2021: Islamismus 2260
Quelle: Verfassungsschutzbericht 2021, S. 53

Islamismus

„Islamismus bedeutet die Ideologisierung des Islam und steht für den Anspruch, der Islam sei nicht nur Religion, sondern auch Herrschaftsideologie und Gesellschaftsordnung.“ So definieren die Verfassungsschützer den Islamismus. Dabei unterscheiden sie in zwei Gruppierungen. Zum einen gibt des den nicht-gewaltorientierten legalistischen Islamismus, der seine Ziele auf parlamentarische und zivilgesellschaftliche Wege versucht zu erreichen. Er nimmt für sich häufig fälschlicherweise in Anspruch, sämtliche Muslime zu repräsentieren und eine Deutungshoheit über den Islam innezuhaben. Ein Beispiel sind die Muslimbruderschaft und ihre Ableger. Die andere Gruppe bilden die gewaltbereiten Terror-Gruppen.

Der Salafismus als wichtigste Strömung des Islamismus in Berlin bedient dabei beide Handlungsarten. Durch die militärischen Niederlagen des IS („Islamischer Staat“) und dem Agieren der Berliner Sicherheitsbehörden (z. B. Vereinsverbote) ist eine Stagnation der Anzahl der Salafisten auf hohem Niveau in Berlin zu beobachten. Währenddessen gibt es Zunahmen bei der „Hizb Allah“, der HAMAS und der Hizb ut-Tahrir (HuT), die sich öffentlich bisher in erster Linie auf antisemitischen Demonstrationen gezeigt haben.

Linksextremismus

Als Linksextremismus bezeichnet der Verfassungsschutz „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, die auf einer Verabsolutierung von Freiheit und Gleichheit beruhen. Er tritt insbesondere mit den Ideen von Kommunismus und Anarchismus in Erscheinung. Dabei ist nicht das Ziel einer Beseitigung des Kapitalismus ausschlaggebend für die Einordnung als extremistisch, sondern das Bestreben, die repräsentative Demokratie abzuschaffen.“ Letzteres ist ein wichtiger Punkt: Der Kapitalismus als solcher ist nicht Teil unseres Grundgesetzes oder unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Der demokratische Sozialismus und damit die Überwindung des Kapitalismus sind auch Teil des aktuellen Grundsatzprogramms der SPD.

Linksextremisten waren 2021 in erster Linie durch Aktionen im Umfeld von Räumungen aktiv. Das Personenpotenzial ist weiter kleiner geworden. Der Verfassungsschutz befürchtet jedoch, dass diese Verkleinerung zu einer weiteren Radikalisierung führen könnte.

Er sieht im klassischen autonomen Spektrum eine „struktureller Schwäche“ und das Fehlen von „tonangebenden Akteuren“.  Ähnlich ist es bei postautonomen Gruppen, wie der Interventionistischen Linken. Postautonome zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch politische Arbeit „Akzeptanz für eine mehrheitsfähige revolutionäre Organisation als Alternative zu den bestehenden Verhältnissen“ schaffen. Sie schließen sich dabei auch legitimen und erreichbaren Forderungen und Organisationen (wie der Volksinitiative „Deutschen Wohnen enteignen“) an und versuchen dort, Mitglieder zu rekrutieren bzw. zu radikalisieren. Ziel bleibt jedoch die Beseitigung der bestehenden Regierungsstrukturen und Ersetzung durch dezentrale Selbstverwaltungen oder durch Herrschaft einer zentralistischen Partei. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass nicht die Gewaltbereitschaft der entscheidende Faktor für die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes ist, sondern die Feindschaft gegenüber unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Die Klimabewegung „Ende Gelände“ dagegen kommt nicht mehr im Verfassungsschutzbericht vor. Das ist meiner Meinung nach auch richtig. Weder ihre radikalen Forderungen noch der von ihnen genutzte zivile Ungehorsam richteten sich gegen unsere Demokratie. Vielmehr liegt der Zweck von zivilem Ungehorsam, wie die zeitweise Besetzung eines Kohlebergwerkes oder jetzt das Festkleben auf Straßen, im Erzeugen von Öffentlichkeit und somit politischem Druck.

Die Rote Hilfe

Abermals im Bericht ist – und nach wie vor umstritten – die „Rote Hilfe“. Sie bietet Beschuldigten aus dem linksextremistischen Spektrum Rechtshilfe an. Der Verfassungsschutz schreibt zur Berliner Ortsgruppe: „Sie agiert gewaltfrei und nicht jedes Mitglied der Berliner Ortsgruppe des Rote Hilfe e. V. ist per se dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen. Der Verein nimmt gleichwohl eine wichtige Rolle innerhalb der linksextremistischen Szene Berlins ein.“

Sich mit juristischen Mitteln zu verteidigen, ist legitim und muss legitim bleiben. So viel Vertrauen sollten wir in unseren Rechtsstaat haben. Daher sehe ich die Aufnahme der Roten Hilfe in den Verfassungsschutzbericht und damit eine Warnung an die Öffentlichkeit über eine Gefahr durch eben diese „Rote Hilfe“ nicht als zwingend.

Der Verfassungsschutz kritisiert unter anderem, dass die „Hilfe“ den Beschuldigten rät, nicht mit der Strafverfolgung zusammenzuarbeiten. Dass Beschuldigte zu gegen sie gerichteten Vorwürfen schweigen, ist auch vollkommen legitim und Alltag im Bereich der Strafverteidigung. Der Leiter des Berliner Verfassungsschutzes, Herr Fischer, teilte im Verfassungsschutzausschuss mit, dass die Rote Hilfe kein Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes sei.

Personenpotenzial Linksextremismus 3800 (+200), davon 950 (-30) gewaltbereit.
Quelle Berliner Verfassungsschutzbericht 2021, S. 79

Sonstige

Neben den genannten Gruppierungen hat sich der Verfassungsschutzbericht auch mit, auslandsbezogenen Extremismus, der Spionageabwehr und Scientology beschäftigt.

Zum ersterer zählen die rechtsextremen türkischen Grauen Wölfe (Ülkücü-Bewegung), die sich von 200 (2020) auf etwa 400 Personen vergrößern konnten. Diese waren auch in einen Angriff auf einen in Neukölln lebenden regierungskritischen türkischen Journalisten verwickelt. Bei der Spionageabwehr arbeitet der Berliner Verfassungsschutz eng mit dem Bundesverfassungsschutz zusammen. Als Hauptstadt ist Berlin dabei im besonderen Fokus. Zu diesem Themenbereich wird der nächste Verfassungsschutzbericht sicherlich besonders interessant werden. 2021 konnte Scientology in Berlin keine nennenswerten Rekrutierungserfolge vorweisen und bleibt, obwohl deren Deutschland-Zentrale sich in Berlin befindet, wenig relevant.

Die Arbeit des Berliner Verfassungsschutzes

Die Gefahren für Berlin als Hauptstadt, Metropole und Stadtstaat in Ostdeutschland sind vielfältig. Auch wenn deutsche Verfassungsschutzämter auf Landes- und Bundesebene in den letzten Jahrzehnten viele Fehler gemacht haben und zu Recht kritisiert wurden, habe ich Vertrauen in den Berliner Verfassungsschutz. Er ist modern mit kompetenten Fachkräften aus unterschiedlichen Fachrichtungen aufgestellt und wird innerhalb und außerhalb der Regierung eng und genau kontrolliert. Die Doppelstruktur einer Kontrolle durch den G10-Ausschuss zur Genehmigung von nachrichtendienstlichen Mitteln wie Telefonüberwachungen und einen großen, regelmäßig tagenden Verfassungsschutzausschusses mit weitreichenden Kompetenzen ist deutschlandweit führend. Mit dem im Koalitionsvertrag vorgesehenen Ausbau der Rolle eines/einer parlamentarischen Beauftragten wird diese noch weiter verbessert. Natürlich passieren Fehler, doch die richtige Aufarbeitung, Transparenz und Kontrolle müssen diese immer begleiten.

Ich glaube fest, dass der Berliner Verfassungsschutz weder auf dem rechten Auge blind ist noch einer falschen Vorstellung einer gleichwertigen Gefahr von rechts und links anhängt. Natürlich wird auch der Berliner Verfassungsschutz morgen nicht in die Rigaer 94 einziehen, doch nach einigen Jahren unter politischer Führung durch die Sozialdemokratie, braucht sich auch kein Berliner und keine Berlinerin für diesen Verfassungsschutz zu schämen.

Mit dem Verfassungsschutzbericht 2021 hat der Verfassungsschutz seinen Teil der Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung getan. Jetzt ist an der Gesellschaft und der Politik zu handeln. Mit der Lektüre des Berichtes wissen wir von den möglichen Gefahren und müssen nun, egal ob Einzelperson, Zivilgesellschaft oder Politik, auf diese reagieren.

Wer noch mehr über den Verfassungsschutzbericht lernen möchte, empfehle ich den, immer sehenswerten und öffentlich tagenden, Verfassungsschutzausschuss, in dem der Bericht besprochen wurde.